Das morgendliche Packen geht los. Zum Glück sind alle schon wach und man muss es nicht im Dunklen machen. Auch Rascheln ist ausnahmsweise erlaubt. Es gibt auch noch Frühstück.
Neben mir sitzt ein Ehepaar aus Ungarn, das eigentlich nur ungarisch spricht und in alle anderen Sprachen mit Google Translator übersetzt. Ich staune. Erstens weil ich es bis jetzt eigentlich anders erlebt habe. Nachdem fast niemand ungarisch lernt, können die meisten Ungarn, die ich kenne, Englisch und Deutsch sehr gut. Na ja und zweitens bin ich voller Bewunderung für den Mut so ganz ohne Fremdsprachen sich auf dem Jakobsweg zu begeben. Es wird langsam hell als ich auf meine erste Etappe starte. Keine Ahnung, wo die Sonne ist, anscheinend in dem Nebel noch. In dem Getränkeautomaten neben dem Pizzaautomaten hole ich mir noch ein isotonisches Getränk und gehe durch die Porte Notre Dame raus. Mit einem Stoßgebet drehe ich mich noch um: Maria, begleite mich.
Nach der Überquerung des Flusses, dessen Namen ich gar nicht versuche zu lesen, geht der Weg gleich wieder bergauf. Und es sind tatsächlich viele Leute unterwegs. Anfang September ist eindeutig Hochsaison. An manchen Häusern sehe ich ein interessantes Muster, das mir auch schon gestern aufgefallen ist. Senkrechte dunkle Balken heben sich von der weißen Wand ab. Es erinnert mich an unsere Fachwerkhäuser und aus der Nähe betrachtet ist das wohl tatsächlich dieselbe Bautechnik, wenn auch mit scheinbar etwas weniger Holz und nur rechten Winkeln. Reste der Stadtmauer gibt es auch und bald dahinter wechseln die Pflastersteine zum Asphalt und der Anstieg wird noch steiler. Ich laufe ganz gemütlich mit gerade mal 3 Stundenkilometer und trotzdem habe ich das Gefühl alle 100 m eine Verschnaufpause zu brauchen. Einige Pilger überholen mich bereits. Na gut sie sehen auch deutlich jünger aus und viele tragen auch nur kleine Tagesrucksäcke. Ich habe für heute ja nur 8 km geplant und mein Bett in Orisson ist sicher, kann also in dem Schneckentempo schleichen. Vielleicht hebt sich das Nebel demnächst und ich werde noch mehr von den Bergen um mich herum sehen können. Trotz dem nebelbedecktem Himmel gibt es schon bald atemberaubende Bergpanoramas, wenn auch in gräulichen Farbschattierungen gehalten.
Einerseits würde ich sie gerne sonnendurchflutet bewundern können, gleichzeitig bin ich aber froh, dass mir zu den fast 30° zumindest die direkte Sonneneinstrahlung erspart bleibt.
Mit der Zeit pendelt sich auch mein Gehrythmus ein. Blöderweise atme ich aber bei dieser Anstrengung durch den Mund und brauche immer wieder mal ein Kräuterbonbon.
Ich weiß nicht ob es in den Pyrenäen sowas wie den Fön gibt, je nachdem aus welcher Richtung der Wind aber weht, ist er entweder recht kühl oder gefüllte 10 Grad wärmer. Unterwegs treffe ich immer wieder auf Pause machende Grüppchen von Pilger. 
Ich grüße nur kurz und latsche weiter. Ich habe schon öfters die Erfahrung gemacht, dass es mir besonders schwer fällt, wieder loszulaufen, nachdem ich mich hingesetzt habe. Ich darf höchstens kurz stehen bleiben, wenn mir die Puste ausgeht. Deswegen halte ich die Anzahl der echten Pausen immer möglichst gering, gehe dafür langsam aber stetig. 
Immer wieder sehe ich riesige Schmuckgräser. Diese Beobachtung haben wir mit meiner Mutter schon vor 5 Jahren gemacht. Damals waren es vor allem Binsen, die enorm groß waren und in Anlehnung an den alten Sovjetunion-Witz haben wir den Spruch kreiert: In Spanien ist eben alles größer. Aber Moment, ich bin doch immer noch in Frankreich.
Irgendwann verlässt der Camino die Straße und das Gehen wird noch beschwerlicher. Nicht nur dass der Pfad steil und steinig ist, jede Menge Matsch gibt es zwischendurch auch noch. Vor wenigen Tagen gab es in Spanien heftige Regenfälle. Da habe ich jetzt mit dem Wetter unglaubliches Glück. 
Die letzten paar Hundert Meter von der Herberge geht es sogar leicht bergab, wobei mich zu diesem Zeitpunkt bereits die reinste Freude an dem Anblick des Etappenziels trägt.
Die ersten 8 km sind geschafft. Das sind gerade mal knapp ein Drittel der in den Pilgerführern vorgeschlagenen Etappe nach Roncesvalles. Wem jedoch die ganze Pyrenäen-Überquerung gleich am ersten Tag zu viel ist, bucht vorsorglich ein Bett in Orisson oder Borda. Ich bin auf jeden Fall froh, es gemacht zu haben, denn dieses Stück hatte es wirklich in sich. Nicht ganz 8 km und dabei 660 Höhenmeter nach oben.
In der Herberge angekommen, lasse ich mich zuerst mit einem kühlen Bier und einem Audiobook in den Kopfhörer nieder. In der Bar ist es hier zwar ziemlich laut, ich habe aber das Gefühl, mich zuerst etwas erholen zu müssen, bevor ich mich an die Anmeldung begeben kann, um nach meinem reservierten Bett zu fragen. Es übernachten hier relativ viele Pilger auf relativ kleine Fläche. Die Duschzeit ist auf 5 Minuten begrenzt und vorher brauche ich mindestens weitere fünf, um das Jeton in die Maschine zu bekommen. Als ich schon fast bereit bin nacket aus der Dusche rauszustürmen und um Hilfe zu bitten, schaffe ich es dann doch und kurz darauf kann ich auch der Pilgerin in der Nebenkabine den richtigen Tipp geben, die gerade denselben Kampf führt.
Am Abend gibt es ein Gemeinschaftsessen. Damit habe ich bis jetzt gute Erfahrungen auf meinen Caminos gemacht, es waren aber zugegebenermaßen deutlich kleinere Gemeinschaften. Diesmal ist es für mich ein Albtraum, aus dem ich zwischen der Suppe und dem Hauptgang nach draußen flüchte. An die 50 Leute reden immer lauter durcheinander, meistens Englisch, soweit ich das überhaupt beurteilen kann. In dem Stimmengewirr verstehe ich bald kein Wort mehr und sobald ich mit der Suppe fertig bin, gehe ich raus. Der Blick von hier ist einfach der Hammer.
Ich wundere mich schon sonst, wie die Leute überhaupt den ganzen Tag reden können, aber das hier toppt alles. Beim Essen selbst wird etwas weniger gesprochen und die Pause zwischen Hauptgang und Nachspeise ist dann zum Glück sehr kurz, ich messe aber interessehalber die Lautstärke und komme auf bis zu 85 dB. Die Vorstellungsrunde, die es nachher den Berichten zufolge gab, verpasse ich natürlich.
In der Nacht ist es auch nicht viel besser. Meine Zimmergenossinen schnarchen zwar nicht, mein Bett befindet sich aber gegenüber der Tür und jedes Mal, wenn jemand auf die Toilette geht, schaltet sich automatisch die volle Beleuchtung im Flur ein. Mit einem Nachtlämpchen wäre das Problem eigentlich besser gelöst. Und ich habe sogar eine Schlafmaske dabei, kann sie jetzt in der Dunkelheit im Rucksack aber auch nicht finden.
Die Folge zum Nachhören: Spotify zum Nachschauen: YouTube
und auf Komoot:



Brak komentarzy:
Prześlij komentarz
Uwaga: tylko uczestnik tego bloga może przesyłać komentarze.